Predigt am 02.06.2024, Kreuzkirche Bayreuth und Versöhnungskirche Heinersreuth: Jer. 23, 16-29

Liebe Gemeinde,

inzwischen haben wir es doch gelernt: Soweit es geht, vermeiden wir den Müll. Der dann noch unvermeidliche Müll wird sorgsam getrennt: Glas in verschiedene Container, Altpapier in die Tonne mit dem blauen Deckel, Plastik in den gelben Sack, Küchenabfälle in die Biotonne und der Rest in die Restmülltonne. So versuchen wir verantwortlich mit dem Wohlstandsmüll unserer modernen Konsumgesellschaft umzugehen.

Aber wo bleiben wir mit dem Lebensmüll, der sich im Laufe der Zeit bei uns ansammelt: mit den schmutzigen Gedanken und bösen Phantasien, den verbeulten Seelen und angekratzten Herzen? Wohin mit dem Beziehungsschrott und den Sorgenbergen, den abgestandenen Vorwürfen und den eigenen Verletzungen? Wohin mit billigen Vertröstungen?

Für die sachgerechte Entsorgung unseres Hausmülls gibt es Gesetze, den Müllkalender und unzählige Broschüren. Aber was ist mit dem Lebensmüll? Darf man den verharmlosen? Darf man über den einfach so hinwegsehen?

Der Prophet Jeremia, von dem unser heutiger Predigttext stammt, weigert sich, dies zu tun. Er ist von einer inneren Unruhe über die Seelenlage des Volkes Israel gepackt. Nicht nur über die von einzelnen Menschen, nein eines ganzen Volkes. Gott schaut auf den Einzelnen, aber auch auf das Ganze. Damals wie heute. Er sieht auch die Gottvergessenheit in unserem Land. Machen wir uns nichts vor. Dabei geht es nur nachgeordnet um die Krise der großen Kirchen. Es geht vor allem darum, wie viele Menschen in einem Volk eine lebendige Beziehung zum ihrem Herrn und Heiland haben.

Der Prophet Jeremia jedenfalls weiß: So wie es jetzt steht, kann es nicht mehr lange gut gehen. Dabei ist Jeremia kein Rechthaber. Keiner, der sich irgendwie für etwas Besseres hält. Nein, am liebsten würde er den Mund halten. Als Gott ihn zum Propheten beruft, windet er sich wie ein Aal und will sich mit allem Möglichen herausreden. Er könne nicht reden. Und er sei zu jung. Das waren seine Argumente, aber die haben Gott nicht überzeugt. Gottes bevollmächtigte Boten sind oft bescheidene Menschen, die nicht viel von sich reden machen wollen.

Umso schwerer fällt es Jeremia jetzt, seine Landsleute im Auftrag Gottes zur Umkehr zu rufen. Es wäre sehr viel bequemer für ihn zu schweigen. Aber der Auftrag Gottes und die Liebe zu seinem Volk ließen das nicht zu. Die politische Lage war zu ernst: das babylonische Großreich wurde immer größer und verstärkte den Druck auf das kleine Land Israel. Die politische Selbstständigkeit des kleinen Israels stand auf dem Spiel. Die Lage war bedrohlich. Auch deshalb weil Prophetenkollegen von Jeremia die Situation abwiegelten und die Menschen in fälschlicher Ruhe wiegten. Und beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, im Namen Gottes zu reden: die Propheten mit ihren sanften, beruhigenden Worten und der Einzelgänger Jeremia mit seinen schroffen, steilen Worten. Hören wir uns einen Abschnitt aus Jeremias scharfer Rede einmal an:

(16) So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.
17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohl gehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?
19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.
20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
21 Ich sandte die Propheten nicht und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.
25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen
27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR.
29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Was für Verse, liebe Gemeinde. Wie gewaltig, wie ernst - und wie verwirrend. Da sind mehrere Menschen, die im Namen Gottes reden. Und offenbar hat nur einer recht. Da sind die einen, die ihre eigenen Vorstellungen vom Glauben und Leben zum allein gültigen Maßstab machen. Von ihnen wird man nie unbequeme Worte hören, wie sollte man auch. Sie waren angestellt am Königshof und dafür bezahlt, die Dinge schön zu reden, selbst wenn es politisch noch so brisant war. Sie waren Schönredner und Wortverdreher, wollten sich nicht unbeliebt machen und wurden für das alles vom König auch noch bezahlt. Kein Wunder, dass sie unter dem Volk massenweise Zustimmung fanden. Und dies noch umso mehr, als auch sie für sich in Anspruch nahmen, im Namen Gottes zu reden.

Eine ganz gefährliche Sache hat sich da in Israel entwickelt: man redet vom Willen Gottes und hat dabei doch nur das eine Ziel, den eigenen Willen durchzusetzen. Statt dem Gebet: „dein Wille geschehe“ hieß die Devise jetzt: „mein Wille geschehe.“ Dass das nicht immer gut geht, konnte man damals in der Geschichte Israels ablesen und eigentlich wissen wir das als Christen auch:

Wie viel in meinem Leben wäre schon völlig gegen die Wand gefahren, wenn es immer so gegangen wäre, wie ich es gewollt habe. In wie viele Sackgassen hätte ich mich schon verrannt, wenn Gott meine Schritte nicht noch in eine andere Richtung gelenkt hätte. Erkennt ihr das in der Rückschau vielleicht auch so?

Jeremia hat die Gefahr haarscharf gesehen. Er weiß, was das Ende sein kann, wenn man immer nur eigene Wege geht. Und so spricht er unbequeme Worte der Umkehr. Er allein. Keiner der anderen Propheten steht ihm bei. Dazu waren sie alle zu feige. Jeremia aber ist ein aufrichtiger Mann. Er kann gar nicht anders, als Gottes Botschaft unverfälscht weiterzusagen. Leicht ist es ihm damals bestimmt nicht gefallen.

Genauso wie es heute schwer fällt, über so einen Text zu predigen. Aber das darf doch nicht das Kriterium sein! Es darf doch damals wie heute nicht sein, dass wir uns nur die Rosinen aus dem Teig der Bibel picken, das was uns wohl schmeckt. Und das andere, was uns nicht so schmeckt, lassen wir einfach links liegen?

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem bekannten Buch „Nachfolge“ ganz dringend vor der „billigen Gnade“ gewarnt. Er meinte damit genau jenen gerade beschriebenen Umgang mit der Bibel. Dass wir uns also die Botschaft Gottes so zurechtlegen, wie sie uns passt. Dass wir nur immer nur von der Gnade Gottes reden und so tun, als wäre sie ganz selbstverständlich.

Gnade, die selbstverständlich ist, ist keine Gnade mehr. Vergebung, die gar nicht mehr als Geschenk gesehen und als Wunder wahrgenommen wird, ist nicht mehr viel wert. Ich mute uns heute mal sehr ernste Worte aus dem Buch Nachfolge von Dietrich Bonhoeffer zu. Ich zitiere: „Du beklagst dich darüber, dass du nicht glauben kannst? Es darf sich keiner wundern, wenn er nicht zum Glauben kommt, solange er sich an irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehorsam dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst irgendeine sündige Leidenschaft, eine Feindschaft, eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft nicht dem Gebot Jesu unterwerfen? Wundere dich nicht, dass du den Heiligen Geist nicht empfängst, dass du nicht beten kannst, dass dein Gebet um den Glauben leer bleibt. Gehe vielmehr hin und versöhne dich mit deinem Bruder; lass ab von der Sünde, die dich gefangen hält, und du wirst wieder glauben können. Willst Du Gottes gebietendes Wort ausschlagen, so wirst du auch sein gnädiges Wort nicht empfangen. Wie solltest du die Gemeinschaft dessen finden, dem du dich wissentlich an irgendeiner Stelle deines Lebens entziehst? Der Ungehorsame kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt.“ Soweit Dietrich Bonhoeffer.

Gottes Wort ist nicht immer nur ein sanftes, weiches Kuschelkissen. Gottes Wort ist manchmal auch wie ein Hammer, der sogar Felsen zerschmeißen kann. Gottes Wort kann auch wie ein verzehrendes Feuer sein, wie es unser Predigttext ausdrückt. Da kann auch mal etwas kaputt gehen an eigenen Wunschvorstellungen, an eigenen Wegen und Gottesbildern. Da können Pläne zunichte werden und Hoffnungen enttäuscht. Da ist ein Gottesdienst eben nicht mehr schön, sondern wichtig und aufrüttelnd. Das alles bleibt dem nicht erspart, der sich Gottes Wort aussetzt.

So rein äußerlich gesehen, lebt es sich manchmal ohne die Orientierung an Gottes Wort bequemer. Aber Bequemlichkeit kann doch auch nicht das oberste Ziel unseres Lebens sein. Unser Ziel als Christen heißt, aufrichtig durch dieses Leben zu gehen und am Ende einmal vor unserem Schöpfer zu stehen. Und dann ist es überlebensnotwendig, wenn wir nicht den ganzen Müll unseres Lebens mitbringen. Dann ist es gut, wenn wir Gottes Wort auch als verzehrendes Feuer kennen gelernt haben, das unseren Lebensmüll verbrannt hat.

Jeremias Worte haben damals schon wie ein verzehrend Feuer gewirkt. Heute kommt uns Gottes Wort vor allem in der Person Jesu leibhaftig entgegen. An seinem Leben und Sterben machen wir uns klar, wie Gott zu uns steht. Erst in Jesus wurde unmissverständlich klar, dass Gott Liebe ist. Wertvolle Liebe, die seinen extrem hohen Preis hat. Den Tod seines Sohnes Jesu Christi. Das ist nicht billige Gnade, sondern unbezahlbare Gnade. Gnade, die man sich nur schenken lassen kann.

Jesus als Sohn Gottes lädt uns heute morgen wieder zu sich ein: was in unserem Leben zerbrochen ist, kann wieder heil werden. Was der Zweifel in Frage stellt, kann zur Klarheit kommen. Wir sind nicht den Strömungen der Zeit machtlos ausgeliefert, wir können bei Gott Halt und Orientierung bekommen. Unseren Lebensmüll und unseren Beziehungsschrott können wir bei Jesus wirklich entsorgen. Unter dem Kreuz von Jesus dürfen wir alles, was Herz und Seele schmerzt, abgeben und loswerden. Vergebung und Heilung, Versöhnung und Reinigung, Entlastung und Erneuerung sind die Geschenke von Jesus am Kreuz. Man braucht dazu gar nicht viel machen. Eine stille Stunde mal für sich, ein Gebet, ein Reden mit Gott ganz ohne fromme Phrasen oder große Gefühle, ganz natürlich, einfach so. Danach wird die große und deine kleine Welt nicht plötzlich Kopf stehen. Vielleicht ändert sich äußerlich gesehen gar nicht viel. Und doch beschenkt uns Gott reichlich. Er gibt uns mehr als grüne Punkte und blaue Engel. Er schenkt uns ein Leben ohne Verfallsdatum, wirklich neues Leben. Er macht uns den Rücken frei von den Altlasten unseres Lebens.

Die Kur, die dazu nötig ist, hat nicht nur immer angenehme Seiten. Da fängt mancher Lack unseres Lebens an zu blättern. Aber es kann dann auch Neues entstehen. Der Ruf zur Umkehr, wie ihn Jeremia damals hat laut werden lassen und wie wir ihn auch heute im Namen Gottes gehört haben, ist die große Möglichkeit Gottes für unser Leben.

Zugegeben, manchmal kann umkehren ärgerlich sein- man muss die Strecke zurückgehen, die man schon gegangen ist.
Zugegeben, manchmal kann umkehren schmerzlich sein – man muss Fehler oder falsche Entscheidungen eingestehen.
Zugegeben, manchmal kann Umkehr peinlich sein- man muss seine falschen Wege als Irrtum eingestehen.
Aber: Umkehr kann auch befreiend sein – die Weichen des Lebens können noch einmal neu gestellt werden.
Umkehr ist die Chance des Neubeginns. Es ist besser umzukehren, als umzukommen.
Umkehr ist die große Möglichkeit Gottes an uns. Wohl uns, wenn wir uns auch diese Seite des Wortes Gottes immer wieder neu sagen lassen. Amen.

Bei Rückfragen bitte wenden an:
Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de