Predigt zu Matthäus 26,36-46 am 13.03.2022, Kreuzkirche Bayreuth

Liebe Passionsgemeinde,

heute geht es um Freundschaft und wie tragfähig Freundschaften sein sollten. Es geht um zwischenmenschliche Freundschaft. Und es geht um unsere Freundschaft zu Jesus. Die Bewährungsstunde für Freundschaften sind Krisenzeiten. Hören wir auf den Predigttext von heute: Mt. 26, 36-46:

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete.
37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.
38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir!
39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!
40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?
41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!
43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf.
44 Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte.
45 Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.
46 Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Jesus braucht seine Freunde in der Stunde der Not. Freunde zu haben, gehört offenbar zum Kostbarsten, aber auch zum Nötigsten für uns Menschen. Freundschaft ist mehr als die Kameradschaft im Fußballverein, mehr als die Zugehörigkeit zur selben Partei, mehr als der nette Kontakt zu Nachbarn. Freundschaft ist mehr, sie ist selten. Wahre Freundschaft muss wachsen, sie bindet uns über weite Strecken des Lebens an wenige Menschen. Ich merke das besonders als Pfarrer und auch wir als Familie. Bedingt durch den Beruf bin ich seit dem Studium schon einige Male umgezogen. Es haben sich eigentlich an jedem Ort Freundschaften gebildet. Die waren wichtig für die Zeit vor Ort. Aber nur wenige Freundschaften haben dann über die Entfernung gehalten. Ich habe ein paar wenige Freunde, da hält die Freundschaft schon über zwanzig Jahre. Und diese Freunde sind mir sehr wichtig. Und vielleicht geschieht das Wunder und es kommen in den nächsten Jahren noch neue Freunde dazu.

Freunde sind wichtig und keine Konkurrenz zur Familie. Freundschaft wächst allmählich und vorsichtig. Echte Freunde muten einander auch Wahrheit zu, sie gönnen einander auch Reibung, Widerstand und Herausforderung. Auch die Bibel singt das Loblied der Freundschaft. Im Buch Jesus Sirach heißt es z.B. (6,14-16): „Ein treuer Freund ist ein starker Schutz; wer den findet, der findet einen großen Schatz.“ Ich hatte schon Konfirmanden, die sich diesen Spruch gewünscht haben. Man möchte gleich mitsummen: „Ein Freund, ein guter Freund, ist das Beste, was es gibt auf der Welt.“ Wir werden arm und einsam, wenn wir keine tiefen Freundschaften pflegen.

Auch Jesus weiß viel von guter Freundschaft. Er eilt zu seinem sterbenden Freund Lazarus und weint an dessen Grab. Er zeigt, was Beten heißt, indem er von einem Freund erzählt, der bei einem anderen Freund nachts anklopft, weil er Brot braucht für einen späten Besucher. Und Jesus geht noch weiter: Die Menschen, die ihm drei Jahre lang gefolgt waren, die 12 an seiner Seite, die nennt er „meine Freunde“. Und mit denen ist er jetzt im Garten Gethsemane.

In diesem Garten sehen wir einen ganz menschlichen Jesus. Er ist erschüttert. Die Furcht ist in seine Seele gekrochen. Was ihm bevorsteht, ist so unermesslich, dass auch ein Jesus nicht souverän, wie ein antiker Held, auf den Hügel von Golgatha zuschreitet. Es schüttelt ihn durch und durch. Und so betet er, betet zum Vater, voller Vertrauen: Du bist doch mein Abba. Er betet ganz ehrlich, er sucht nach einem Ausweg. Kann der Kelch nicht an mir vorüber gehen? Muss ich ihn leeren, den bitteren Kelch, bis zur Neige? Er betet voller Angst, aber keinen Moment lässt er die Hand des Vaters los: Geschehen soll, was du willst, so sagt er. Und am Ende: Er muss den Kelch trinken – bis zur bitteren Neige. Sein Wunsch, seine Bitte wird nicht erfüllt.

Und damit nicht genug! Jesu Bitte wird auch ein zweites Mal nicht erfüllt. Die eine unerfüllte Bitte richtete sich an seinen Vater: Lass doch diesen Kelch an mir vorübergehen! Die andere unerfüllte Bitte richtete sich an die Männer, die er seine Freunde genannt hatte. „Mir geht es so dreckig, meine Freunde, bitte bleibt und wacht mit mir. Es gibt zu diesem Lied ein kurzes Lied, was wir in dieser Predigt öfters singen wollen:

Lied: Bleibet hier und wachet mit mir (EG 700 3x)

Darum geht es in Freundschaft: Bleibet hier und wachet mit mir. Jetzt müsst ihr hier sein, zuhören, aushalten, nicht flüchten, keine Sprüche klopfen- auch keine frommen, aber an meiner Seite bleiben. Und die Freunde, jetzt in der Stunde der Freundschaft? Sie schlafen ein. Jesus weckt sie, bittet noch einmal. Und wieder schlafen sie ein. Wieder weckt Jesus sie, wieder schlafen sie ein. Ach, sagt er, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Es ist genug, es ist vorbei, mein Schicksal ist bestimmt, ich weiß, was die Stunde geschlagen hat. Das ist die andere, menschlich unerhörte Bitte, die Jesus im Garten Gethsemane äußerte: Er muss allein durch dieses finstere Tal. Seine Freunde versagen, sie sind nicht da, als sie am dringendsten gebraucht werden.

Ich kenne diese Erfahrungen aus der Seelsorge an Menschen, die gerade schweres Leiden durchleben: Zu allem, was Menschen treffen kann, kommt noch hinzu, dass sie gerade in der Stunde der Not so bitter enttäuscht werden von denen, die sie für ihre Freunde gehalten hatten. So erlebt das auch Jesus. Jesus wird immer einsamer, das Versagen seiner engsten Mitarbeiter tritt immer deutlicher hervor. Jesus bittet seine Freunde um Beistand und seine Freunde verweigern ihm diesen geringsten Dienst: eine einzige Stunde ihres Lebens wach zu bleiben und es an seiner Seite auszuhalten.

Lied: Bleibet hier und wachet mit mir EG 700

Ich frage mich: Jesus, wie hältst du das nur aus mit uns? Jesus ist stets da für uns. Wir bitten: „Gib uns das und schenk uns jenes. Mach uns gesund. Segne unsere Arbeit. Gib uns Brot. Schenk uns friedliche Ehegatten und freundliche Kinder. Sei bei uns auf Reisen. Verzeih uns unser Versagen. Lass unsere Gemeinde wachsen. Schenk uns warmherzige, aufrichtige Freunde. Halt unsere Gegner in Schach. Schenke und erhalte uns den Frieden. Mach dies, tu das. Jesus, sei du einfach bei uns.“ Das alles und können und dürfen wir so bitten, keine Frage. Aber überhören wir dabei diese eine Bitte Jesu: bleibet hier und wachet mit mir?

Lied: Bleibet hier und wachet mit mir EG 700

Jesus sagt: Bleibt ihr bei mir, bitte, eine Stunde, eine Stunde Wachen und Beten. Und wir sagen: Keine Zeit, zu viel zu tun, viel zu müde.

Mich beschämt das. Und noch viel mehr, dass Jesus das aushält. Er hält uns aus! Er hält mich aus in meiner Untreue, Lauheit, Oberflächlichkeit. Ich kann nur staunen und anbeten, wieviel Geduld Jesus mit mir hat! Das ist Gnade. Wenn Du eine Definition von dem frommen Begriff Gnade suchst, hier ist sie: Jesus hält es bei uns aus! Er bricht den Weg nicht ab. Er erträgt die Einsamkeit. Wir haben die Gemeinschaft mit ihm nicht verdient. Er gewährt sie uns trotzdem. Das ist Gnade. Teure Gnade: Ich koste ihn Einsamkeit, Enttäuschung, Dunkelheit und am Ende den Tod. Und er verstößt mich dennoch nicht. Ach, ich wünschte, dass uns das heute richtig zu Herzen geht!

Und ich frage mich als Zweites: wieso benutzt Jesus gerade die Versager von Gethsemane, um mit Ihnen die Christenheit nach Ostern durch die ersten Jahrzehnte führten? Weil sich an den Jüngern Glaubensschritte erkennen lassen, die typisch sind und die wir auch in unserem geistlichen Leben durchlaufen müssen.

Der erste Schritt: Das Versagen im Garten Gethsemane gehört mit zu dem langen Weg, den Jesus mit den Jüngern geht. Es ist Teil der Schule, die sie durchlaufen. Ein harter Teil. Auf dem Weg zur Reife, in der Formung ihres Charakters mussten Petrus, Jakobus und Johannes in den Abgrund der eigenen Seele schauen. Das erspart uns Jesus nicht: in den Abgrund der eigenen Seele schauen. D.h. auch; Weinen über unser Versagen, die verweigerte Freundschaft mit Jesus, die verweigerte Freundschaft mit anderen. Ohne diesen Blick in den Abgrund werden wir nie begreifen, wie teuer die Gnade ist. Ohne diesen Blick erreicht uns nicht die tiefe Freude an der Treue und Geduld unseres Heilands. Ohne diesen Blick geschieht auch nicht die Erneuerung unseres Charakters, die wir so nötig brauchen.

Der zweite Schritt: Die Freunde müssen lernen zu wachen und zu beten. Das ist die Lektion, die die Jünger selbst gelernt haben. Im ersten Petrusbrief wird Petrus schreiben: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge“ (5,8). Wachen ist nötig, denn unser Glaube ist umstritten. Am besten wachen wir, wenn wir dem Gebet viel Raum geben. Wachen und Beten stärkt den Geist und hindert das Fleisch. Fleisch ist wieder so ein frommes Wort und hat nichts mit dem Metzger zu tun. Fleisch bedeutet Widerstand gegen Jesus. Fleisch bedeutet das Nachlassen im Gebet. Fleisch bedeutet die Neigung in uns, genau das zu tun, was Jesus nicht will, und genau das zu lassen, was er will. Wir brauchen den Blick in den Abgrund. Wir brauchen es, im Gebet wachsam zu bleiben für Jesus in unserem Leben.

Und wir brauchen den dritten Schritt: eine neue Fragehaltung. Die neue Fragehaltung ist praktizierte Freundschaft mit Jesus. Gute Freunde erkennt man daran, dass sie wissen möchten, was den anderen bewegt. Dann beten wir nicht mehr nur: „Jesus, sei du bei uns. Tu das für uns. Hilf uns bei dem.“ Sondern wir fangen auch an zu hören, wenn Jesus zu uns sagt: Sei du doch bei mir. Lass Du dich doch von mir in den Dienst nehmen. Sei du doch bei mir, wenn ich – Jesus - dich zu einem Notleidenden schicke. Lauf mir nicht fort, mach es nicht allein! Sei Du bei mir, wenn ich, Jesus, in deiner Familie Frieden stiften will. Lauf nicht einfach weg. Versuche es nicht einfach selbst. Oder lebe nicht einfach dein großes Ego aus.

Oder ganz konkret: Wenn wir Jesus als Freund ehren, dann kommen wir z.B. anders zum Gottesdienst. Wir fragen nicht nur: Bringt mir das etwas? Werde ich gut unterhalten? Werden meine Wünsche erfüllt? Gefällt mir die Musik? Ist die Predigt nett zu mir? Oder der Prediger? Wir fragen: Wie kann ich Jesus eine Freude machen? Wie kann ich ihn so anbeten und ehren, wie es ihm zusteht? Wie kann ich ihm zeigen, dass ich ihn liebe? Ich drehe die Frage um und merke: Wenn ich so seine Nähe suche, ist er mir auch ganz nah. Wenn ich nach seinem Reich trachte, fällt mir selbst so viel Gutes zu. Das ist Freundschaft mit Jesus!

Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis diesen Gedanken immer wieder durchdacht, oft beim Nachdenken über Gethsemane: Wie können wir das lernen, dass wir die Freundschaft mit Jesus annehmen und leben? Oder anders gesagt, dass wir mit Jesus leiden, wenn er in der Welt leidet, an der Welt leidet. In dem Gedicht „Christen und Heiden“ sagt er es so: „Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod. Christen stehen bei Gott in Seinem Leiden.“ Wo ist der Platz, an dem es Jesus das Herz bricht, der Platz, an dem er leidet, und wo ist der Platz, wo er seine Freunde bei sich haben möchte, wachsam, betend, liebend, tätig – wo ist der Platz für Jesus in Deinem Leben?

Lied: Bleibet hier und wachet mit mir EG 700

Ich fasse zusammen. Jesus kündigt uns die Freundschaft nicht auf. Gott sei Dank. Aber er formt unseren Charakter: indem er uns in den Abgrund schauen lässt, indem er uns lehrt, zu wachen und zu beten, und indem er die Richtung unseres Fragens verändert: Wo möchte er uns bei sich haben?

Ich möchte zum Schluss dieser Predigt ein Gebet sprechen:

Jesus, unser Freund! Das ist größte Ehre, die uns widerfährt. Dankbar wären wir schon, dürften wir nur Knechte sein. Aber Du nennst uns Deine Freunde. Und das ist das größte Wunder: Du hältst an Deiner Freundschaft fest. Du tust das Größte, was ein Freund für den anderen tun kann: Du opferst Dein Leben. Du erträgst es, dass wir Dich so oft enttäuschen, allein lassen, im Stich lassen. Wir beugen uns vor Dir und geben uns schuldig. Aber wir wollen Dir zugleich sagen, dass wir gerne als Deine Freunde leben möchten. Wir möchten gerne in Deiner Nähe sein. Es zieht uns näher zu Dir. Wir möchten auch dann bei Dir sein, wenn Du durch unsere Welt gehst und an vielem so sehr leidest. Wir möchten lernen, zu wachen, zu beten und Dir zur Hand zu gehen, wenn Du heilst, versöhnst, aufrichtest, in Ordnung bringst. Hilf uns, Herr, dass wir von Herzen danach trachten, dass dein Name geheiligt werde, dein Wille geschehe und Dein Reich komme. Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, E-Mail: < friedemann.wenzke@elkb.de ; Tel: 0921/41168