Okuli, 19.03.2017, Kreuzkirche, Markus 12, 41-44

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Wir wollen in der Stille um den Segen Gottes für diese Predigt bitten:
… Herr, wir bitten dich, erhöre uns. Amen.

Unser Wort für die Predigt steht im 12. Kapitel bei Markus:

Jesus setzte sich in die Nähe des Opferkastens im Tempel und beobachtete, wie die Leute ihre Gaben einlegten. Viele Reiche legten viel ein. Dann aber kam eine arme Witwe und legte zwei kleine Münzen in den Opferkasten.

Da rief Jesus seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt, als alle anderen vor ihr. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Als Pfarrer wird einem so manche Not anvertraut, die sonst niemand weiß. Nicht nur gesundheitliche Not, familiäre Not, seelische Not, durchaus auch materielle Not. Wir leben zwar in Zeiten, in denen es den meisten Menschen so gut geht, dass sie keine Not leiden, aber es gibt schon auch nicht wenige Gemeindeglieder, die sehr sparsam leben müssen und nur sehr bescheidene Renten und Einkommen haben.

Von einer älteren Frau aus unserer Gemeinde, die immer sehr gepflegt und ordentlich gekleidet ist, weiß ich, dass sie nur eine sehr kleine Rente hat. So wenig, dass sie sicher Anspruch auf einige Sozialleistungen hätte, aber sie will das nicht. Sie lebt bescheiden und kommt mit dem Wenigen, das ihr nach Abzug von Miete und festen Kosten bleibt, gerade aus. Ja sie schafft es sogar, noch ein paar Euro für Besonderes zurückzulegen.

Wenn sie mir dann nach einem Besuch einen Umschlag in die Hand drückt, mit einer Spende für „Wo am Nötigsten“, dann fällt es mir sehr schwer, den anzunehmen. Ich weiß, sie hätte es selber nötig. Aber sie gibt es gern und ich würde ihr wehtun, wenn ich mich weigern würde, ihre Spende anzunehmen. Sie ist dankbar, dass sie hat, was sie zum Leben braucht und ihre Spende ist ein Zeichen ihrer Dankbarkeit gegenüber Gott.

„Es ist nicht viel!“ sagt sie mit einem Lächeln. Und ich denke mir: Es ist doch viel, wenn man weiß, wie wenig sie zum Leben hat. Es ist so ähnlich wie in der Begebenheit, die der Evangelist Markus uns hier berichtet. Eine arme Witwe, die im Tempel zwei kleine Münzen in den Opferkasten legt. Nicht der Rede wert, verglichen mit den Wertgegenständen und Beträgen, die von anderen gespendet werden.

Jesus kommt zum Tempel. Er setzt sich im Vorhof der Frauen dorthin, wo die Opferbehältnisse aufgestellt sind und sieht zu, wie die Gläubigen ihre Gaben einlegen. In der Regel standen Priester daneben, denen man die Gabe zeigte, bevor man sie einlegte. Die Gabe wurde dann laut verkündigt. Man erreichte damit ein höheres Gabenaufkommen, denn blamieren wollte sich ja keiner vor den anderen.

Jesus schaut sich die Geber und ihre Gaben an. Er übt keine Kritik an dem fragwürdigen Verfahren, und erkennt die Opferbereitschaft der ehrenwerten „Besserverdienenden“ an. Markus schreibt: Viele Reiche legten viel ein. Manche sind von weit her gekommen und haben beachtliche Beträge und Wertgegenstände mitgebracht, Händler, Kaufleute, Grundbesitzer. Sie greifen tief in die Tasche. Den zehnten Teil seines Einkommens sollte ein frommer Jude Gott opfern. Und wenn einer gute Gewinne gemacht hatte, dann tat er das vielleicht auch gerne. Er konnte es sich als „Besserverdiener“ leisten.

Zwischen all den gut angezogenen wohlhabenden Pilgern bewegt sich auch eine kleine einfach gekleidete Frau auf die Opferkästen zu. Ihr schmales, blasses Gesicht spitzt aus dem schwarzen Wolltuch, das sie um ihren Kopf geschlungen hat. Zwei kleine Münzen legt sie in die Opferschale, man hört es kaum. Man hört auch kaum die Worte, mit denen der Priester die kleine Gabe benennt. Nicht der Rede wert. Niemand beachtet das besonders, außer Jesus. Er sieht tiefer.

Worauf schauen die Menschen? Auf das Große, das Spektakuläre. Davon wird berichtet, das übertragen die Medien. Wenn ein Wirtschaftsboss milliardenschwere Aktienpakete verkauft und eine Million für einen guten Zweck spendet, eine Stiftung gründet, seine Gemäldesammlung einem Museum vermacht, das dafür nach ihm benannt wird. Da schaut man hin und hat Hochachtung.

Und wo sieht Jesus hin? Er sieht auf die arme Frau, die ihre letzten beiden kleinen Münzen in den Opferkasten legt. Zur Ehre Gottes und aus Dankbarkeit. Es ist alles, was sie hat, aber sie gibt es gern und von Herzen. Sie würde gern mehr geben, aber sie hat nicht mehr.

„Behalt’ doch dein bisschen Geld“, möchte man ihr zurufen, „du brauchst es doch selber ganz dringend!“ Sie denkt nicht dran. Sie gibt, gibt gern und denkt nicht an sich. Sie vertraut, dass Gott, dem sie alles gibt, weiter für sie sorgt. So wie er es immer getan hat. Sie sieht in ihrem Leben, trotz ihrer Armut viel Grund, dankbar zu sein und Gott zu loben.

Martin Luther sagt: „Frei und einfältig soll man geben, aus lauter Liebe, willig.“ Er hat nie viel Geld zusammengebracht, weil er es immer schnell verschenkte, wenn er etwas hatte. Seine Frau hat manchmal darüber gestöhnt. Reichtum bedeutete ihm nichts. Er meinte: „Reichtum ist das geringste Ding auf Erden und die allerkleinste Gabe, die Gott einem Menschen geben kann“ – und er fährt, wahrscheinlich schmunzelnd, fort – „darum gibt unser Herrgott gewöhnlich Reichtum den groben Eseln, denen er sonst nichts gönnt.“

Doch zurück zum Tempel und zu Jesus: Das Schicksal einer Witwe damals, als es weder Rente, noch Sozialhilfe oder Lebensversicherung gab, war hart. Kein Hartz 4. Niemand, der ein Existenzminimum errechnete. Eine Witwe war auf sich selbst, bestenfalls auf die Unterstützung durch Verwandte oder Nachbarn angewiesen. Sie konnte vielleicht durch Ährenlesen und Holzsammeln oder durch kleine Hilfsarbeiten ihren Lebensunterhalt gerade so verdienen. Jeden Cent hätte sie sparen müssen für später, wenn sie einmal nicht mehr arbeiten kann.

Das alles weiß Jesus, als er sieht, wie diese Witwe ihren Geldbeutel am Opferstock leert. Er ist tief bewegt und beeindruckt. Er ruft seine Jünger zusammen und fragt sie: „Habt ihr das gesehen? Diese arme Witwe hat alles gegeben, was sie hatte! Die anderen haben von ihrem Überfluss gegeben. Aber sie hat alles gegeben, was sie zum Leben hatte. Sie hat ihr letztes Scherflein hergegeben!“ – Das Scherflein war übrigens eine Wortschöpfung Luthers bei seiner Bibelübersetzung. Es gab den „Scherf“, das war damals die kleinste Münze. Seit dieser Übersetzung ist das „letzte Scherflein“ zur Redensart geworden.

Eine wohlhabende Frau wurde bei einer Sammlung zur Renovierung einer Kirche um eine Spende gebeten. „Gerne“, sagte sie, „aber leider kann ich nur das berühmte Scherflein der Witwe beitragen!“ Der Pfarrer antwortete: „Gute Frau, das wäre zu viel, das können wir nicht erwarten.“ - „Sie haben mich missverstanden“, lachte die Frau, „ich meinte mit dem Scherflein nur eine kleine Gabe!“ „Ja“, sagte der Pfarrer, „das wäre dann doch zu viel, denn die Witwe hat mit ihrem Scherflein damals alles, was sie ihr Eigen nannte in den Gotteskasten gelegt.“ Die Frau bekam einen roten Kopf und spendete eine beachtliche Summe.

Jesus hat unter allen Spendern genau gesehen, wer das größte Opfer gebracht hat. Er sieht anders als die Menschen. Er sieht das Kleine, das Arme, das Geringe. Er lässt sich nicht blenden von großen Zahlen und grandiosen Leistungen. Er sieht tiefer. Er sieht, was dahinter steckt, auch bei uns. Er sieht die Einstellung, das Motiv und die Anbetung, die ihm gilt.

Und wir? Kommen wir uns nicht manchmal groß vor, wenn wir etwas aus unserem Überfluss abgeben? Mit gutem Gefühl sammeln wir die Spendenquittungen, die im Lauf eines Jahres zusammengekommen und lassen uns gerne einen Teil unserer großzügigen Spenden vom Finanzamt zurückerstatten.

Je mehr in Zukunft unsere Sozialsysteme einknicken, umso mehr wird es wieder darauf ankommen, dass Menschen sich untereinander helfen, dass man die Not des anderen sieht und etwas tut, wenn man kann. Ohne Erwartung oder Berechnung, ob man das auch wieder zurückkriegt. Gerade wenn es ohne Gewinnkalkulation geschieht, liegt ein besonderer Segen drauf. Wenn die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Der Herr sieht es und er sagt: „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“.

In unseren Gemeinden wird noch mehr ehrenamtliches Engagement und Eigenleistung notwendig werden, um unsere Kirchen und Gemeinderäume zu erhalten. In manchen Gegenden werden sie ja schon verkauft. In allen Bereichen werden wir bescheidener werden müssen. Was aber kein Grund zum Jammern ist, wie wir hier an der Witwe sehen und an der Frau, von der ich eingangs erzählt habe. Sie zeigen, man kann auch dann noch etwas hergeben, wenn man selbst nicht viel hat.

Ich bin überzeugt davon, dass dieser Frau ihre Münzen nicht gefehlt haben, sondern dass sie der Herr so versorgt hat, dass es ihr an nichts gemangelt hat. Gott lässt niemanden im Stich, der für ihn etwas oder gar alles einsetzt.

Eine Frau, die auch nicht gerade mit Reichtümern ausgestattet war erzählte, sie habe zum neuen Jahr eine Reihe von Nachbarn und Bekannten mit Andachtskalendern beschenkt. Mehr als 100 Euro aus ihrer bescheidenen Haushaltskasse habe sie dafür ausgegeben. Bald darauf lernte sie eine Dame kennen, die ihr unaufgefordert 100 Euro schickte, mit der Bitte, sie doch für ihre Kalendermission zu verwenden.

Kein Einsatz, keine Kraft, keine Zeit, die für die Sache Gottes eingesetzt werden, wird übersehen werden, da können wir ganz sicher sein. Gott gibt reichlich zurück. Ich las eine Geschichte, ich weiß nicht, wo sie sich zugetragen hat: In einer Stadt wurde einst ein stolzes Münster gebaut. Der Bischof rief die Gläubigen auf Opfergaben für eine besondere Glocke zu spenden. Da brachte eine Witwe eine kleine Silbermünze. Mehr hatte sie nicht. Ein Priester nahm die Gabe mit geringschätziger Miene entgegen und kaum hatte die alte Frau den Raum verlassen, warf er ärgerlich die Münze aus dem Fenster mit den Worten: „Ein Bettelpfennig vom Bettelvolk. Was soll eine so kleine Gabe für eine so große Glocke!“

Die Glocke wurde schließlich gegossen. Doch als sie fertig war, gab sie nur einen ganz dumpfen Ton von sich. Niemand konnte sich das erklären. Da flehte der Bischof Gott an, er möge ihm die Ursache zeigen. Da wurde ihm eines Nachts im Traum die Sache mit der Silbermünze der armen Witwe gezeigt. Der Bischof ließ den Priester kommen und stellte ihn zur Rede. Dann gingen beide hinaus in den Garten und suchten, bis sie die kleine Silbermünze wieder fanden. Der Bischof ließ die Glocke einschmelzen und gab dem flüssigen Metall unter Gebet die Münze bei. Es erfolgte ein neuer Guss und die neue Glocke läutete rein und klar über die Dächer der Stadt.

Wie klingt es aus unserem Reden und Handeln? - Gott sieht hin und der Herr Jesus fordert uns auf, genau hinzusehen. Nicht so wie die Kameras und Bildschirme, die das Große und Schillernde ins Bild setzen, sondern mit den Augen der Liebe und der Wertschätzung auch für das Kleine und Unscheinbare. Im biblischen Urtext, im Griechischen steht für die Gabe der Frau das Wort „bios“, das heißt eigentlich wörtlich: „ihr ganzes Leben“

Diese Frau gibt Gott ihr ganzes Leben, ihre ganze Sicherheit. Das will Jesus uns zeigen. Er will uns Mut machen, dass wir unser Leben Gott ganz geben, dass wir ihm ganz vertrauen.

Das gilt keineswegs nur für unser Geld und unseren Besitz. Das kann auch unsere Zeit sein oder unsere Kraft. Vielleicht war die ganze Woche vollgepackt mit Terminen und Arbeit. Früh aufstehen, spät ins Bett gehen. Soll ich am einzigen Tag, an dem ich ausschlafen könnte, aufstehen, um in den Gottesdienst zu gehen? Soll ich meine letzten Kräfte in die Mitarbeit bei einer kirchlichen Veranstaltung stecken, die Jungschar-gruppe halten, im Chor mit singen oder blasen, die Gemeindeblätter austragen, für die Diakonie sammeln?

Besser nicht, wenn ich es als „Muss“ verstehe und es nur tue, weil Gott mir keine Ruhe zu gönnen scheint oder weil ich mir den Himmel damit verdienen will. Wenn’s aber aus Dank, für die Sache Jesu und zur Ehre Gottes geschieht, dann darf es geschehen und wird auch von Jesus gesehen.

Der Herr fordert das nicht von uns, aber er tut es für uns. Er gibt seinen ganzen „bios“, sein ganzes Leben am Kreuz für uns, damit wir auch als halbherzigen Christen nicht verloren sind. Wenn wir uns das von Jesus schenken lassen, bekommen wir auch die Freiheit und die Freude, ihm unser Leben ganz anzuvertrauen, ohne ängstlich etwas zurückzuhalten.

Wenn wir ihm ganz vertrauen, wird er uns auch weiter treu versorgen und reichlich beschenken. Hat er es nicht bisher schon in wunderbarer Weise getan?

Herr, wir danken dir, dass du uns mit deinem ganzen Leben, deiner ganzen Kraft und Liebe erlöst hast. Wir bitten dich um die Freiheit und das Vertrauen, dass auch wir dir unser Leben ganz geben und dass wir uns nicht ängstlich an Besitz und Güter klammern. Du machst uns reich, zufrieden und getrost durch deine Gaben. Wir danken dir dafür. Amen.

Verfasser: Martin Schöppel, Pfarrer, Dr.-Martin-Luther-Str.18, 95445 Bayreuth, Tel. 0921/4116